(k)eine Schule für Arme


Berlin, 13.11.2014

Zum kommenden Schuljahr soll die Bürgerschule Wedding eröffnet werden. Die Verortung in die Schullandschaft fällt vielen schwer. Auf der einen Seite vermuten Bildungspolitiker eine Privatschule, die sich an die 'bildungsnahen' Weddinger mit Migrationshintergrund wenden würde. Auf der anderen Seite bezeichnen Bildungsjournalisten die Bürgerschule als 'Schule für Arme'. Beide Einordnungen liegen jenseits der Realität.

Das Konzept der Bürgerschule stammt vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin und steht für eine Stadtteilschule, die Demokratie, soziales Engagement und Inklusion mit einander verbindet. Bürgerschulen sind als gleichberechtigte Erweiterung des bestehenden Schulangebotes geplant und wenden sich ohne Einschränkungen an alle Familien im Einzugsgebiet der Schule. Sie sollen Pionierarbeit leisten bei der Umgestaltung der Schullandschaft hin zu einem sozial gerechten Bildungsangebot für alle.

Mitglieder der Bürgerplattform „WIR SIND DA!“ Wedding-Moabit haben daran anknüpfend ihre Vorstellung einer guten Schule entwickelt. In der Bürgerplattform sind knapp 40 Gruppen organisiert – darunter Kirchen- und Moscheegemeinden, soziale Einrichtungen und Träger der Kinder- und Jugendhilfe – sie sich bereits seit über 5 Jahren vielfältig für die Verbesserung ihrer Stadtteile einsetzen. Mit dem Aufbau einer Bürgerschule für den Wedding haben sich die Vertreter auf den Weg gemacht, ihre Vision einer inklusiven, gerechten und zukunftsweisenden Schule „von unten“ zu entwickeln. Damit machen sich auch gerade jene Menschen auf den Weg, denen oft „bildungsferne“ vorgeworfen wird und die von anderen Akteuren oft eher als „Problem“ wahrgenommen werden. Mit der Bürgerschule übernehmen Muslime, Christen und Nicht-Religiöse Menschen gemeinsam Verantwortung für die Bildungschancen in ihrem Stadtteil – das ist einzigartig in Deutschland. Die Berufliche Orientierung, die interkulturelle Kompetenz und neue Formen der Elternarbeit kamen konzeptionell hinzu. Ein starkes Netzwerk von Unternehmern aus dem Wedding soll Partner der Schule sein.

Einzigartig an dieser Schule ist, dass sie von Anfang an mit Bürgern des Stadtteils entwickelt wurde, die sich im Rahmen der Bürgerplattform Wedding-Moabit zusammen geschlossen haben. Mit Unterstützung des DICO (Deutsches Institut für Community Organizing) wurde ein Prozess moderiert, bei dem Bürger sich für bildungspolitische Veränderungen stark machen konnten. Die Schulerfahrungen der Initiatoren und ihre Beobachtungen in ihrer unmittelbaren Umgebung sind -neben fachlichen und professionellen Aspekten- die Grundlage der Schulkonzeption. Für das Schulkonzept gibt es allseitig positive Rückmeldungen.

 

Einzigartig ist ebenfalls die angestrebte Trägerform. Bisher gibt es den Staat als Träger (in Form des Schulamtes) und freie Träger (Schulvereine, gGmbH's u.a.). Gemeinsam ist ihnen, dass alle Schulen unabhängig von der Trägerschaft öffentliche Schulen sind. Staatlich getragene Schulen werden zu 100% aus Steuermitteln finanziert, Schulen in freier Trägerschaft nur zu einem bestimmten Prozentsatz (ca. 60%). Ein Elterngeld muss bei den frei getragenen Schulen die finanzielle Lücke schließen.

Die Bürgerschule ist als kooperative Trägerschaft gedacht. Organisierte Bürger wie jene im Wedding würden gemeinsam mit den Schulbehörden eine öffentliche Schule frei von Elterngeldbeiträgen betreiben. Hiermit werden mehrere Ziele verfolgt. Der Staat kommt seiner Verantwortung für ein breites Schulangebot nach. Es entsteht keine Konkurrenz zwischen staatlich bzw. frei betriebenen Schulen. Die Familien können unabhängig von ihrem Einkommen eine solche Schule wählen. Eltern wären tatsächlich in der Lage, die Schule mit zu gestalten und gemeinsam mit den Fachkräften weiter zu entwickeln. Schule wäre dann weder eine Festung noch eine Insel, sondern ein transparenter und gestaltbarer Teil unserer Gesellschaft. Schüler würden ihre Schule als Ort umfassender demokratischer Mitbestimmung erleben.

Die Bürgerschule Wedding wird in einem Stadtteil angesiedelt sein, in dem 80% der Bevölkerung Transferleistungen beziehen. Sie richtet sich wie alle anderen öffentlichen Schulen an alle Familien in der Umgebung. Folglich wird sie mehrheitlich auch von Schülern besucht werden, deren Familien nicht aus eigener Kraft ihr monatliches Einkommen beziehen. Das ist eine Konsequenz des Standortes. In einem anderen Stadtteil würde ein Konzept Bürgerschule sich an die dortige Bevölkerung richten und dir örtliche Sozialstruktur entsprechend berücksichtigen. Eine Schule für alle zu machen bedeutet in einem Stadtteil wie dem Wedding, sich an viele 'arme' Menschen zu richten. Dieser Umstand macht aus einer Bürgerschule aber noch lange keine Schule für Arme.

Die Verhandlungen mit den Verantwortlichen der Schulverwaltung über Möglichkeiten einer kooperativen Trägerschaft sind vorerst gescheitert. Es zeigte sich, dass man sich auf etwas dergestalt Neues nicht einlassen wollte oder konnte. Jetzt bleibt den Schulgründern nur die freie Trägerschaft als Option, wenn sie das Projekt nicht aufgeben wollen. Damit die Familien kein Schulgeld zahlen müssen, braucht es nun weitere Einnahmequellen. Zumindest bis das Modell einer kooperativen Trägerschaft politisch gewollt ist.

Ein solch innovatives Projekt wie die Bürgerschule Wedding benötigt Beistand und Unterstützung, auch finanzieller Art. Einzelpersonen, die zu Wohlstand gekommen sind, können einen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit leisten. Sozial Engagierte Unternehmen können ihren Stadtteil bereichern und ihre zukünftigen Auszubildenden fördern. Ein großer Förderverein kann das breite gesellschaftliche Interesse an einer Veränderung in der Schullandschaft bewirken. Die Unterstützung durch Stiftungen wird zur Finanzierung unverzichtbar sein.

Das ändert alles nichts an dem einen, zentralen Aspekt der Bürgerschule Wedding:

Eine Bürgerschule ist eine Schule für alle.

 

Matthias Hofmann