Schulreformbremser...

Berlin, 21.09.2014

 

Ich stamme aus einer sozialdemokratischen Familie. Und war einmal GEW Mitglied. Ausgetreten bin ich, als ver.di gebildet wurde. Ich wollte nicht mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder in der selben Gewerkschaft sein. Früher fieberte ich bei Wahlabenden mit, wie andere bei Fußballspielen. Auch wenn ich sie nie gewählt habe, so war mir rot-grün immer noch lieber als schwarz-gelb. Fühlte sich 'besser' an, eher links und reformbereiter.

 

Die engagiertesten LehrerInnen meiner früheren Gesamtschule waren in der GEW. Mit Gewerkschaft habe ich immer Veränderungsmut verbunden. Die großen Streiks der 80er Jahre fanden viele richtig und es wurden zahlreiche Anekdoten erzählt. Von Hausfrauen, die mit Blumentöpfen nach Bundeswehrlastern werfen, weil diese Streikbrecher zur Opelfabrik fahren wollten. Von Arbeitern mit Eisenstangen vor den Fabriktoren und den Kumpeln im Ruhrgebiet, die Rheinbrücken besetzt hatten. Lange ist es her.

 

Über die Missstände in den bundesdeutschen Schulen wurde und wird viel geschrieben. Über Reformmöglichkeiten wurde und wird viel geredet. Für sichtbare Alternativen legen sich einige PädagogInnen mächtig ins Zeug. Und trotzdem kommt keine wirklich spürbare Bewegung in die Schullandschaft. Da steht wohl jemand auf der Reformbremse.

 

Die Konservativen bremsen alles aus, was soziale Gerechtigkeit versprechen könnte. Sie befürworten eine Leistungsgesellschaft. Das macht nur Sinn, wenn nicht alle den ersten Platz erreichen können. Es muss zwangsläufig Gewinner und Verlierer geben. Privatschulen gehören für sie zur Elitenbildung und so kommt es, dass sie in manchen Bundesländern selbst den Alternativschulen gegenüber wohlgesonnen sind, weil diese für sie zu den elitären Privatschulen gehören (obwohl sie das nicht sein wollten!).

 

Die SozialdemokratInnen haben sich festgebissen. Bildung für alle, auch für die Arbeiterkinder, haben sie gefordert und streiten weiter für Gemeinschafts- und Gesamtschulen. Damit setzen sie sich aber nicht wirklich durch und ihr Schulmodell konkurriert mit den Gymnasien des konservativen Lagers. Eine flächendeckende Schule für alle macht ja nur Sinn, wenn auch die Besserverdienenden ihre Kinder schicken (müssen). Trotz aller Bemühungen konnten die SozialdemokratInnen die zunehmende Ungerechtigkeit im Bildungssystem nicht aufhalten, höchsten etwas mildern. Privatschulen wollen sie eigentlich nicht. Alternativschulen scheinen sie nicht zu kennen, sonst würden sie diese nicht in den Privatschultopf werfen. Sie setzen auf das staatliche Monopol in der Schulbildung. Das sie damit ein ständisches Schulsystem verteidigen, dass sie ursprünglich überwinden wollten, dass blenden sie weitgehend aus.

 

Die GEW vertritt die Interessen der LehrerInnen. Ein Umdenken im Bereich Schule würde zu anderen Arbeitszeiten, veränderten Aufgaben, beachtlichen Fortbildungsbedarf usw. führen. Das wollen viele LehrerInnen nicht. Mühen sie sich doch Tag für Tag ab, brennen aus und müssen doch feststellen, dass die Institution Schule / Schulpflicht nicht zur sozialen Gleichheit beiträgt. Von allen Seiten ständig kritisiert und in den Klassen weitgehend allein gelassen, verteidigen sie sich und ihr Engagement. Viel zu wenig wird ihre Arbeit wert geschätzt. Die GEW ist ihre Festung. Das Schulamt ist ihr Schutzwall. Ohne GEW und Schulamt kann man kaum etwas verändern. Aber weder die GEW noch die Schulbehörden sind bereit Initiativen für Modellschulen eine Chance zu geben.

 

Das ist bedauerlich. Denn eigentlich sind die Ziele relativ nah beieinander. Kinder aus den unteren Einkommensschichten sollen die gleichen Chancen für ihre Schullaufbahn erhalten wie andere. Schule soll ein Ort gelebter Demokratie sein. Die Eltern sollen das mittragen, die Schule und ihre Kinder unterstützen. Schule kann Kinder fördern, die von zu hause aus 'wenig mitbekommen'. Schule kann der Ort sein, an dem die nächste Generation Gestaltungswillen entfaltet. Schule könnte der Ort sein, an dem Interkulturalität alltägliche Normalität ist. Ein Ort, in dem Inklusion eine Selbstverständlichkeit ist. Vielfalt in der Schullandschaft wäre ein Grund zur Freude und zur gegenseitigen Inspiration! Alle Schulen (unabhängig von der Trägerschaft) würden von einem unabhängigen Schulamt begleitet und in ihrer Entwicklung unterstützt. Eltern aus den 'oberen Schichten' wären stolz auf die soziale Mischung in den Schulklassen, weil man hier soziale Kompetenz erlernen kann.

 

Aber all das wird nicht kommen. Zumindest nicht flächendeckend. Die Konservativen stehen auf der Bremse, wenn es um soziale Gerechtigkeit und eine Schule für alle geht. Die SozialdemokratInnen stehen auf der Bremse, wenn es um Modellschulen in Freier Trägerschaft geht. Und die GEW steht auf der Bremse, wenn große Reformen den Schulalltag über den Haufen werfen könnten. Und alle behaupten: Es ändert sich nichts, weil die anderen auf der Bremse stehen.

 

Matthias Hofmann