Die Pädagogik Janusz Korczaks:

Das Waisenhaus als Republik der Kinder

Seminar Athen 06/2015 – autonome Universität1


Es ist eine Ehre für mich, über Janusz Korczak und seine Pädagogik sprechen zu dürfen, denn er war nicht nur ein großartiger Pädagoge, sondern auch ein durch und durch und aufrichtiger Mensch. Zugleich ist es beschämend, in der Sprache seiner Mörder über ihn zu sprechen. Unter anderem auch, weil seinem Andenken im deutschsprachigem Raum nur wenig Bedeutung beigemessen wird.


Janusz Korczak2

- Leitete in Polen Waisenhäuser

- Als Pädagoge publizierte er mehrere Bücher

- Als Gutachter für das Jugendgericht setzte er sich für straffällige Kinder und Jugendliche ein

- Er schrieb Zeitungsartikel

- Hielt Vorträge u.a. in Palästina und Berlin

- Hatte im Radio eine eigene Sendungen zur Erziehung

- Er starb mit 'seinen' Kindern im Konzentrationslager 1942


Von Beruf Arzt - wie auch Maria Montessori -gingen sie pädagogisch und politisch unterschiedliche Wege. „Beide (Korczak und Montessori) waren Ärzte, die sich für die Seele des Kindes einsetzten; beide betonten die Bedeutung der frühkindlichen Erfahrung; und beide waren von Pestalozzis Idee der ‚rechten Methode’ beeinflusst, einem Kind zu helfen, sich durch die Anwendung seiner Hände, Augen und Ohren zu. Doch damit endeten ihre Gemeinsamkeiten. Montessori konzentrierte sich auf ihre speziellen Lehrmaterialien, Korczak sorgte sich hauptsächlich um die soziale Interaktion von Kindern.“3

Grundsätzlich wirkte die Pädagogik Korczaks vor der Eroberung Polens durch die deutsche Armee vor allem in der polnischen Gesellschaft und in den ersten Kibutzis im damaligen Palästina.


Pädagogisches Prinzip der Hoffnung

In seiner Einstellung zur Rechtsprechung über Kinder und Jugendlichezeigt sich sein zutiefst humanistisches Weltbild. „Stets auf der Seite der Kinder aus den Elendsvierteln – die in den meisten Fällen wegen geringfügiger Vergehen verhaftet worden waren -, versuchte er, sie davor zu bewahren, in Warschaus üble Besserungsanstalt für entwickeln Jugendliche eingewiesen zu werden. 'Das straffälligste Kind ist immer noch ein Kind', schrieb er. 'Es ist ein Kind, das noch nicht aufgegeben hat, aber nicht weiß, wer es ist.'“4


Individualisierung

Grundlage seiner Pädagogik ist die Erkenntnis, dass man jedes Kind als einzigartigen Menschenwahrnehmen und wertschätzen muss. Dem Kind stehen die gleichen Rechtezu wie jedem Erwachsenen. Dies anzuerkennen ist für Korczak Voraussetzung um einem Kind mit Empathie begegnen zu können.5

In seiner literarischen Tätigkeitdrückte sich dieses Bild vom Kind derart aus, dass er der erste polnische Autor war, der ein Kind zum selbstbewussten Helden seiner Geschichte machte.6Was eine 'Pippi Langstrumpf' in Schweden ist, war sein 'König Hänschen' in Polen.


Individualität - 'Normalentwicklung'

In der kritischen Auseinandersetzung mit reformpädagogischen Konzeptionen zeigte sich häufig ein Grundwiderspruch zwischen der angestrebten Individualität und der Vorstellung einer ‚Normalentwicklung’. Korczak begibt sich nicht in diesen Widerspruch. „Der Kinderarzt beschwört den gesunden Menschenverstand und warnt davor, die Entwicklung eines Kindes mit der Meßlatte vollziehen zu wollen: ‚Wann sollte ein Kind zu sprechen und zu laufen anfangen? Wenn es so weit ist. Wann sollten die ersten Zähne kommen? Wenn sie soweit sind. Wie lange sollte ein Baby schlafen? Bis es wach wird.’ “7


Kinder haben Rechte

Janusz Korczak unterscheidet sich in zwei wesentlichen Bereichen von anderen 'reformpädagogischen'PädagogInnen. Zum einen geht er davon aus, dass das Kind unveräußerliche Rechtehat und zum anderen verschmelzen bei ihm Theorie und Praxiszu einer untrennbaren Einheit, wie das nur bei den wenigsten PädagogInnen der Fall ist.8„Seine Vorstellungen bezüglich des Kindes sind – anders als bei den übrigen Reformpädagogen – durch die dem Kind zugeschriebenen Rechtebestimmt.“ Und weiter führt F. Beiner aus: „Anders als bei Korczak herrschte im Mainstream der Reformpädagogen, z. B. in der Bewegung “Vom Kinde aus”, ein eher romantisierendes Bild vom Kind vor; das Kind wurde als “Heilsbringer” mystifiziert, statt seine Emanzipation durch eine realistische gesellschaftliche Analyse vorzubereiten und voranzutreiben.“9


Die Grundrechte des Kindes umfassen

  • Das Recht auf den eigenen Tod

  • Das Recht auf den heutigen Tag

  • Das Recht des Kindes das zu sein, was es ist

Das Recht auf den eigenen Tod meint, dass Erwachsene aus Sorge vor einem möglichen Unfall o.ä. das Kind vom Leben fern halten. Ein Kind hat das Recht, eigene Risiken einzugehen.Dabei ist Korczak alles andere als naiv oder fahrlässig. Auch die Kinderrechte sind in ihrer praktischen Auswirkung altersgemäß zu verstehen. Das Recht auf den heutigen Tagist eine Absage an den Verzicht auf eine Gegenwart zum Nutze einer vermeintlichen Zukunft. Das Kind darf ganz im Jetzt sein. Der/die PädagogIn ist der Gegenwart eines Kindes verpflichtet.Die Verantwortung für eine zukünftige Entwicklung ist zweitrangig und in erster Linie eine Verantwortung des/der PädagogIn gegenüber der Gesellschaft. Das Recht des Kindes das zu sein, was es ist verdeutlicht F. Beiner treffend: „Zum einen ist das Kind entwicklungsbedingt hilfs- und fürsorgebedürftig; als solches hat es [...] ein Recht auf Fürsorge. Zum zweiten ist das Kind Menschwie wir Erwachsenen.“10

Korczak fordert einen sorgsamen Umgang mit Kindern ein, der ihre Grundrechte achtet und ihr Bewusstsein für diese Rechte fördert. Hierzu bedarf es auch in pädagogischen Einrichtungen Strukturen, die eine demokratische Gemeinschaft ermöglichen. Erziehung ist folglich nicht auf einen spekulativ angenommenen Zweck ausgerichtet. Das Erziehungsziel ist ein politisches: Erziehung zur Demokratie. Erziehung zu einem Bürger/einer Bürgerin, der/die um seine/ihre Rechte weiß.

Diese Strukturen müssen vier Aspekte ermöglichen: die freie Meinungsäußerung, die demokratische Verwaltung und Gestaltung des Zusammenlebens, die Wahrnehmung von Rechten und Pflichten und Rechtsprechung bzw. Konfliktlösungen.

Dazu später mehr, ich werde auf sein Konzept der 'Kinderrepublik’ noch vertiefend eingehen.


Korczak bemüht Bilder aus der Natur um zu verdeutlichen, wie er die Kinder und ihre Seele wahrnimmt. An die LehrerInnen appeliert er, dass wenn sie freudlos und resigniert sind sie den Kindern ihr Lachen, ihre Bewegungen und ihre Streiche lassen sollen. „Kinder lieben das Lachen, Bewegung, Streiche. Lehrer, wenn dir das Leben ein Friedhof ist, laß denKindern die Freiheit, es als Weideland zu sehen.11Für die MitarbeiterInnen folgt aus Korczaks Konzeption, dass sie tatsächlich die gleichen Rechte und Pflichten haben wie die Kinder.12


Die Verletzlichkeit und Sensibilität der Kinderseelen beeindruckte Korczak Zeit seines Lebens. Erwachsene können durch Maßregelungen diese zarten Seelen beschädigen.„Die Seele des Kindes – ein Wald, in dem die Baumwipfel sich sanft wiegen, die Äste sich vermischen und die zitternden Blätter sich berühren. Manchmal streift ein Baum seinen Nachbarn und spürt die Vibrationen von hundert und tausend Bäumen – vom ganzen Wald. Jedesmal, wenn von uns einer sagt ‚richtig – falsch – paß auf – mach’s noch einmal’, ist es wie ein Windstoß mit verherrender Wirkung für das Kind.“13

Korczak analysiert auf Grund seiner Erfahrungen in den Kinderheimen immer wieder darauf hin, ob und wo Erwachsene die Kinder in deren ‚Welt’ beschränken oder gar Schaden anrichten. Dabei beobachtet er vor allem das kindliche Verhalten und analysiert das Tun der Erwachsenen.


Kindersprache / Erwachsenensprache

Zu dem Aspekt der Sprache stellt er fest, dass Kinder und Erwachsene mit den selben Worten andere Inhalte verbinden.14


Erziehungsziel

Korcak zielte mit seiner Erziehung nicht auf ein bestimmtes, vermeintlich ‚richtiges’ Verhalten ab. Er zielte in der Auseinandersetzung mit Kinderndarauf ab, dass diese ihren Willen klar erkennen und ausdrücken lernen. Zwangserfahrungen sollten abgebaut werden und seelische Wunden sollten ausheilen können. „’Wenn du einen hauen musst, dann tu das – aber nicht zu fest’, sagte Korczak. ‚Wenn du die Beherrschung verlieren musst, dann tu das, aber bitte nur einmal am Tag.’ Und mit der ihm eigenen Selbstironie meinte er, dass in diesen beiden Sätzen seine ganze Erziehungsmethode enthalten sei.“15


Rahmenbedingungen

Die finanziellen und räumlichen Bedingungen der Waisenhäuser waren fast immer mangelhaft. Es ist Korczaks persönlichem Einsatz und dem großen Organisationstalent seiner MitarbeiterInnen zu verdanken, dass die Kinder in dem von ihm geleiteten Waisenhaus vergleichsweise gut versorgt waren.

Sie kamen auf die Idee, bei den Gewerkschaften Hilfe zu suchen, weil viele ihrer Mitglieder im Krieg [im 1. Weltkrieg; M.H.] umgekommen waren und Waisen hinterlassen hatten. Die Arbeiter waren von der Idee so angetan, dass sie nicht nur die Sammelbüchsen füllten, die in jedem Laden und in jeder Fabrik aufgestellt wurden, sondern auch die ersten fünfzig Kinder auswählten, die in das Waisenhaus einziehen sollten. [...] Einige stellten sich sogar um Brot und Kartoffeln an und trieben irgendwo Mehl auf.“16


Die Kinderrepublik als demokratische Erziehung

In den von Korczak geleiteten Waisenhäusern herrschten (im Vergleich zu den damals üblichen Zuständen) würdevolle Bedingungen. Er und seine MitarbeiterInnen verstanden sich als Mitglieder der Gemeinschaft, die in Form einer Republik organisiert war. Kinder und Erwachsene hatten hier Rechte, die für alle galten. Die Kinder verdankten ihre Rechte nicht ihren vermeintlich großzügigen ErzieherInnen. „Dadurch, dass über alles abgestimmt wurde, konnten die Kinder innerhalb ihrer Gemeinschaft Selbstverantwortung übernehmen. Statt dem Urteil der Erwachsenen ausgeliefert zu sein, lernten sie, sich selbst durch die Augen ihrer Kameraden zu sehen. Darüber hinaus hatten sie auch das Recht, über die Erzieher und Helfer abzustimmen, von denen erwartet wurde, dass sie die kleinen Bürger der Republik mit Respekt behandeln.“17

Um das Recht auf freie Meinungsäußerung abzusichern gab es im Waisenhaus u.a. eine Wandzeitung und Briefkästenfür vertrauliche Informationen und ein Dank- und Entschuldigungsbuch. Das Gemeinschaftsleben wurde u.a. durch ein Parlament, einen Selbstverwaltungsrat und ein Betreuungssystem für Neulingegeregelt. Nach den Gesetzen des Waisenhauses konnten Kinder und Erwachsene Anzeige erstatten, um ihr Recht einzufordern. „'Eine Gerichtsverhandlung sagt mir mehr über ein Kind als ein Monat der Beobachtung', sagte Korczak. Dieser Gerichtshof aus Gleichen war für ihn die Säule seines Systems. Während er im Krieg war, ließ er eine Gesetzessammlung erstellen, die den Richtern Hilfe bei ihrer Urteilsfindung sein sollte. Sie ähnelte dem Code Napoleon, auf dem das polnische Recht basierte – mit dem Unterschied, dass Korczaks Code die Vergebungpropagierte.“18

In einem 1000 § umfassenden Gesetzbuch waren die Sanktionen geregelt. Diese reichten von einfacher Vergebung über das öffentlich machen des Unrechtes bis dahin, dass ein Kind (ab § 900) eineN FürsprecherIn finden musste, um im Waisenhaus zu bleiben. Der § 1000 schloss ein Kind vom Waisenhaus aus. In diesem Falle konnte das Kind nach drei Monaten einen Antrag auf Neuaufnahme stellen.19Wenn der Schuldige nicht auszumachen war, wurde der Fall trotzdem verhandelt; falls die Tat der Republik schadete, kam ein schwarzer Trauerflor ans Schwarze Brett.20

Bei der Entlassung aus dem Waisenhaus sprach Korczak die folgenden Worte: „Leider können wir dir nichts anderes geben als diese wenigen armen Worte. Wir können dir keine Liebe zu deinen Mitmenschen geben, weil es keine Liebe ohne Verzeihen gibt, und Verzeihen ist etwas, was jeder lernen muss. Wir können dir nur eins geben: die Sehnsucht nach einem besseren Leben, das es jetzt vielleicht noch nicht gibt, eines Tages aber geben wird – ein Leben voller Wahrheit und Gerechtigkeit. Vielleicht wird dich diese Sehnsucht zu Gott, Vaterland und Liebe führen. Lebewohl, und vergiss nicht.“21


Schulkonzept

Korczak sah die Pädagogik den Kindern und dem Leben verpflichtet, nicht der beruflichen Qualifikation. „[...], eine Lebensausbildung sei wichtiger als eine Berufsausbildung in den kurzen Jahren, in denen sie bei uns waren.“22

1907/’08 legt Korczak einen Entwurf zu einer ‚Schule des Lebens’ vor. Es “[...] ist wohl für niemanden mehr ein Geheimnis, dass die gegenwärtige Schule eine durch und durch nationalistisch-kapitalistische Institution ist, dass ihre erste und vornehmste Verpflichtung darin besteht, klerikale Zentristen und chauvinistische Patrioten zu erziehen.”23Ziel seiner ‚Schule des Lebens’ war es all das zu vermitteln

[...] was das Leben bereit hält, durch sie sollten die Schüler lernen, lautstark für die Menschenrechte einzutreten, mutig und rücksichtslos anzuprangern, was verderbt ist.“24

Für ein von Korczak konzipiertes Schulprojekt übertrug er seine pädagogischen Grundsätze auf Schule. Er schuf erst einmal die Schulglocke, die feste Sitzordnung und alle den Tagesablauf regulierenden Rituale ab. Er erstellte einen eigenen Lehrplan, „[...] nach dem jedes Kind individuell behandelt wurde und selbst auswählen konnte, womit es sich wie lange beschäftigen wollte, sei es Lesen, Rechnen, Malen und Basteln oder Musik.“25Die Kinder konnten Punkte sammeln, die spielerisch addiert wurden. Wöchentlich gab es einen Exkursionstag zu Fabriken und Bauernhöfen, um die Produktionsbedingungen kennen zu lernen. Korczak selbst unterrichtete nie an dieser Schule, kam aber immer wieder als Besucher und Geschichtenerzähler vorbei.


Das pädagogische Motiv des ‚Zeit verlieren’, das uns schon bei Rousseau begegnet ist, findet sich auch bei Korczak. „Man braucht Zeit, eine Erfahrung in sich aufzunehmen, bis man sie nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen versteht.“26


Krieg und Ghetto

Selbst unter den Bedingungen des Krieges, der deutschen Besatzung und des Ghettos setzte Korczak seine Arbeit fort. Unter erschwerten Bedingungen blieb er seinen Grundsätzen treu. Die Selbstorganisation des Waisenhauses bewährte sich auch unter solch extremen Bedingungen.

Das Waisenhaus musste ins Ghetto umsiedeln.27Für die Kinder des Waisenhauses wurde es zu gefährlich hinaus zu gehen. Korczak begann verschiedene Persönlichkeiten in das Waisenhaus einzuladen, die als ReferentInnen und GesprächspartnerInnen Vorträge hielten. Schulen waren den Menschen im Ghetto verboten, so dass im Waisenhaus illegal unterrichtet werden musste. Die Kinder des Waisenhauses wurden u.a. in Hebräisch unterrichtet, damit sie nach dem Krieg ein neues Leben in Palästina beginnen könnten. Zentral für das Zusammenleben war immer noch die Selbstverwaltung gemeinsam mit den Kindern. Täglich machte sich Korczak auf, um für das Waisenhaus Nahrungsmittel aufzutreiben. Um den Kindern Kraft und Mut zu geben wurden die religiösen Feste zu Rosh Hashanah und Jom Kippur im Waisenhaus mit Gottesdiensten begangen.


Am 6. August 1942 deportierten die FaschistenInnen die Kinder und ihre BetreuerInnen in das Vernichtungslager Treblinka. „Es hat niemand überlebt, der die Geschichte der letzten Stunden von Korczak, Stefa und den Kindern hätte berichten können [..]“28


Was bleibt...

Was die französische Revolution von 1789 für die Bürgerrechte bedeutete, dass bedeutet im gewissen Sinne Korczak’s Eintreten für Kinderrechte. Statt der willkürlich gewährten oder verwehrten ‚Rechte’ durch den Fürsten hat ein Bürger festgeschriebene, unveräußerliche Rechte. Diese Rechte bestehen in einer Demokratie unabhängig von den politischen und moralischen Vorstellungen anderer. Ebenso verhält es sich mit den Kinderrechten. Die Rechte eines Kindes sind genauso unabhängig vom Erwachsenen wie die Bürgerrechte von einem Adeligen. Eine Praktikantin nahm Kindern im Waisenhaus einen Ball weg, weil diese eine Scheibe zerschossen hatten. Die Kinder wehrten sich. Die Praktikantin könne sie für die zerschossene Scheibe anzeigen, aber den Ball dürfe sie ihnen nicht wegnehmen.

Kinderrechte verändern die Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen. Die Erwachsenen verlieren an Macht.

Eine Aufgabe der LehrerInnen besteht meines Erachtens darin, die Kinder und Jugendlichen über ihre Rechte aufzuklären.29Ziel einer solchen Erziehung ist die Erziehung zur Demokratie.


Im Sinne der hier gemachten Ausführungen wird deutlich, dass die Pädagogik Korczaks ein radikal demokratisches politisch-gesellschaftliches Ziel verfolgt. Seine Anthropologie berücksichtigt konsequent die Individualität des Menschen und fordert dessen Entfaltung durch Förderung. Korzcak ist somit durchaus ein libertärer Pädagoge, der nicht einfach nur einer unter vielen Reformpädagogen ist. Er gehört zu einer emanzipatorisch-freiheitlichen pädagogischen Tradition, die heute wenig beachtet und selten als Grundlage für alternative pädagogische Projekte genutzt wird.

Im Kontext einer gesamtgesellschaftlichen Umwälzung hin zu einer herrschaftsfreien, basisdemokratischen und solidarischen Gesellschaft, kann die Pädagogik Korzcaks (und anderer) als Baustein, als Teilstrategie und im gewissen Sinne auch als Waffe verstanden werden.

Die Menschenfeindlichkeit faschistischer und anderer autoritärer Ideologien wird in der Vernichtung und Ermordung von Korzcak, seinen KollegInnen und vor allem der Kinder aus der Kinderrepublik deutlich. Nichts fürchten die Herrschenden der Welt so sehr, wie Menschen, die keiner Herrschaft jenseits der Selbstverwaltung bedürfen.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die UN- Kinderrecht viel radikaler und konsequenter, als in ihrer bürgerlichen Lesart. Die Kinderrechte sind nicht nur die Erweiterung der Bürgerrechte auf Menschen unter 18 Jahre. Sie sind Modell und Verpflichtung für eine Demokratisierung der gesamten Gesellschaft! In einem solchen Prozess werden die gesellschaftlichen Widersprüche sichtbar, es wird deutlich, wer seine Macht zugunsten der Unfreiheit anderer verteidigt. Wenn es auch schwer abzusehen ist, mit welchen Mitteln die Machtfragen perspektivisch ausgetragen werden, so gibt es keine menschenwürdige Alternative zu den Kinderrechten, den Menschenrechten und dem Ziel einer freiheitlichen und solidarischen Gesellschaft für alle.



1 Die autonome Universität in Athen ist eine selbstorganisierte Form des Studiums. Sie findet in der Academia Platanus statt und entspricht in ihrer freien Form dem, was dem griechischen Verb agorain entspricht: sich 'wandelnd austauschen'.

2 Ein Biogramm zu J. Korczak findt sich in: Korczak 2011; S.143f.

3 Lifton 1995; S. 125

4 Lifton 1995; S. 192

5 Vgl. Lifton 1995; S.109

6König Hänschen 1. ist Korczaks Emile genannt worden. [...] Auch wenn man das Buch als Märchen betrachten kann, das von den Abenteuern eines kühnen jungen Königs handelt, ist es in Wirklichkeit jedoch eine philosophische Abhandlung über geistige und weltliche Macht.“ Lifton 1995; S.147

7 B. J. Lifton: Der König der Kinder. Das Leben von Janusz Korczak. München 1995; S. 110

8 Vielleicht trifft dieser Umstand auch auf A.S.Neill und C. Freinet zu.

9 Beiner 2011

10 Beiner 2011

11 Lifton 1995; S. 111

12 „Sie [die MitarbeiterInnen] hatten die gleichen Aufgaben zu erfüllen wie die Kinder – Fußböden schrubben, Kartoffeln schälen, Fenster putzen -, weil Korczak vom Erzieher erwartete, das gleiche tun zu können, was von den Kindern verlangt wurde. Sie mussten akzeptieren, dass die Kinder über sie abstimmten und, schwieriger als alles andere, dass sie sich dem Kindergericht zu stellen hatten.“ Lifton, 1995; S.197

13 Lifton 1995; S. 114

14 Lifton 1995; S. 116

15 Lifton 1995; S. 169

16 Lifton 1995; S. 137

17 Lifton 1995; S. 167/168

18 Lifton 1995; S. 180

19 Vgl. Lifton 1995; S.180f

20 Lifton 1995; S. 182

21 Lifton 1995; S. 190

22 Lifton 1995; S. 248

23 Korczak, Bd. IX gesamelte Werke S. 161 zitiert in Beiner 2011

24 Korzak Bd. 7 gesamte Werke; S. 164 zitiert in Beiner 2011

25 Lifton 1995; S. 266f

26 Lifton 1995; S. 288

27 „Bis zum 30. November musste die jüdische Bevölkerung ins Ghetto übersiedelt sein. Je näher dieser Tag rückte, desto chaotischer wurden die Zustände in der Stadt: 138 000 Juden, ihre Habseligkeiten im Handkarren oder auf dem Rücken, strömten durch die acht Tore des Ghettos [...].“ Lifton 1995; S. 348

28 Lifton 1995; S.454

29 Diese Aufgabe umfasst meines Erachtens sowohl die Kinderrechte der UN Charta als auch die Rechte, die darüber hinaus u.a. in den einzelnen Alternativschulen bestehen. Das verhindert, dass diese Rechte als von den Erwachsenen ‚netter Weise’ eingeräumte Freiräume wahrgenommen werden.