November 2016:

Kurdophobie

 

Merhaba! Gün aydin! Ich habe nichts gegen Türken und Deutschtürken. Ich habe Gastfreundschaft erlebt, wir haben zusammen Politik gemacht, gemeinsam gegessen, getrunken und gelacht. Meine Tochter spricht fließend Türkisch und auch ich habe Sprachkurse besucht. Biraz türkҫe bilyorum! Darüber haben sich meine Bekannten gefreut. Wenn es aber um die Rechte von Kurden geht, sprechen meine Bekannten von Terroristen. Ich erwidere dann, dass ich als Pazifist niemals mit Terroristen sympathisieren werde. Haben Kurden kein Recht auf einen eigenen Staat? Manche meiner türkischen Bekannten reagieren aggressiv auf diese Frage. Manche leugnen, dass die Kurden etwas anderes als Bergtürken seien. Kurden leben seit vielen tausend Jahren in ihrem Siedlungsgebiet im mittleren Osten. Die Türken sind erst vor 700 Jahren aus dem Kaukasus eingewandert.  Andere deuten an, dass sie die Unterdrückung der Kurden falsch finden, aber ein eigener kurdischer Staat ginge nicht. Ich frage dann, ob die Türken das Recht auf einen eigenen Staat hätten. Dies wird einhellig bejaht. Und wenn die Türkei besetzt werden würde? Dann würden sie selbstverständlich dagegen kämpfen. Dann seid ihr potentielle Terroristen, sage ich.

Selam aleikum! Ich schätze meine arabischen Freunde und Bekannten! Ich liebe das Essen und ich werde traurig, wenn wir von der Lage in Syrien sprechen. Krieg, Unterdrückung, Vertreibung, Hoffnungslosigkeit. Ich helfe in einer Willkommensinitiative mit und wir versuchen, das Ankommen so einfach wie möglich zu machen. Ein unabhängiges Kurdistan ist auch für meine syrischen Bekannten unvorstellbar. Manche von ihnen haben selbst für ein freies Syrien gekämpft, aber kurdische Autonomie, dass sei unvorstellbar. Syrien sei ein arabisches Land. Die Kurden müssten die Grenzen akzeptieren, sagen sie. Ich frage: akzeptiert ihr eure nordwestliche Grenze? Niemals, sagen sie. Denn hier hat sich die Türkei ein Stück „Syrien“ unter den Nagel gerissen. Und die Kurden geben einfach keine Ruhe. Viele Kurden lebten unter Assad als Menschen 3. Klasse. Die kurdische Sprache war verboten. Durch Zwangsumsiedelungen sollte der Norden Syriens / Westkurdistan arabisiert werden. Es wundert mich nicht, wenn auch hier die Kurden nach Autonomie streben. Meine syrischen Gesprächspartner würden ihr Land gegen jede Besatzung verteidigen. Den Kurden wird dieses Recht aber abgesprochen.

Meine persischen Freunde sind so warmherzig und großzügig, dass mich unsere Begegnungen immer wieder tief berühren. Ich liebe die Musik von Farid Farjad. Wir kochen und essen gemeinsam, machen Musik und freuen uns über unsere wachsenden Freundschaften. Kurdische Unabhängigkeit ist aber auch hier kein einvernehmliches Thema. Täglich werden Kurden im Iran öffentlich aufgehängt, nur weil sie Kurden sind. Kinder müssen zusehen, wenn die Väter sterben. Verlangt wird aber trotzdem, dass die Kurden im Staat Iran verbleiben sollen.

Wovor haben meine türkischen, syrischen und persischen Freunde und Bekannten Angst? Wird ihre ‚Heimat‘ kleiner, wenn man die besetzen kurdischen Gebiete in die verdiente Unabhängigkeit entlassen würde? Ich denke, es wäre ein Zeichen von Größe, hundert Jahre Besatzung, Unterdrückung und Morden zu beenden. 

Kein Land, mit Ausnahme von Armenien, hat den Kurden gleiche Bürgerrechte gewährt. Wie kann man erwarten, dass sich Millionen Menschen auf Dauer unterdrücken lassen? Wer die Kurden bekämpft, wie das bspw. Erdogan tut, der will doch gar nicht friedlich und gleichberechtigt mit ihnen zusammen leben.

Oft trinke ich mit Kurden Tee im Ҁayxanê. Ich bin in vielen Dingen anderer Meinung als manche Gesprächspartner. Ich halte Öcalan zum Beispiel nicht für einen großen Führer und finde es auch bedenklich, wenn man einen großen Führer braucht. Aber ich höre auch andere Stimmen, die der Menschenrechtler. Mit der Forderung nach einem unabhängigen kurdischen Staat verbinden sie die Hoffnung, dass die Repressionen durch die Besatzungsmächte, die ja allesamt als Schurkenstaaten bezeichnet werden können, ein Ende hätten. Was für ein Land dieses Kurdistan wäre? Das kann man heute nicht wissen. Aber es wäre zumindest ein Land, in dem mehr als 50 Millionen Einwohner ihre Sprachen sprechen dürften und die eine Chance hätten, im Mittleren Osten einen demokratischeren Staat aufzubauen, als es der Irak, der Iran, Syrien oder die Türkei heute sind.

Ich werde weiter mit meinen Bekannten und Freunden Teetrinken und diskutieren. Aber ich werde zur Kurdischen Frage nicht schweigen. Und wer so kurdophob ist, dass er das nicht ertragen kann, wird dann wohl keinen Ҁay mehr mit mir teilen.